Vorwort

 

An Ostern 1925 fand in Gießen eine Besprechung von drei Mitgliedern der „Historischen Kommission für Hessen“ statt. Der Vorsitzende, Julius Reinhard Dieterich, Bibliotheksdirektor Haupt und Geheimrat Otto Behaghel stellten dabei eine Lücke in der lexikalischen Bearbeitung der süddeutschen Mundarten fest: Rheinhessen und Starkenburg, die beiden südlichen Provinzen des ehemaligen Großherzogtums Hessen. Das war die Geburtsstunde des sechsbändigen „Südhessischen Wörterbuchs“, dessen Arbeitsstelle an der Universität Gießen im Jahre 2006 den Teilband VI/2 (Wesenwerk-zäckerig) herausgegeben hat. 2004 erschien in Darmstadt das “Kleine südhessische Wörterbuch“ von Roland Mulch, der auch den großen Bruder „Südhessisches Wörterbuch“ bearbeitet. Zwei Jahre später, Anfang 2008, legte Georg Drenda (Institut für Geschichtliche Landeskunde der Mainzer Universität) den „Kleinen linksrheinischen Dialektatlas“ vor.

 

Aber neben den wissenschaftlichen Veröffentlichungen gab es stets auch populär gestaltete Mundartlexika für den Hausgebrauch. So erschien 1966 das Mainzer Wörterbuch von Karl Schramm. 1974 legte Hans-Jörg Koch mit „Wenn Schambes schennt“ ein populäres Schimpfwörterbuch vor, dem 1984 mit „Blarrer Zabbe Leddeköbb“ eine Sammlung der Dorfspitznamen folgte. Ebenfalls in den achtziger Jahren begann Wilfried Hilgert seine unterhaltsame Sammlung rheinhessischer Wörter mit französischem Ursprung „Wuleewu Kardoffelsupp“, der weitere Bände zum Lateinischen und zum Jiddisch-Hebräischen in der rheinhessischen Mundart folgten. Ein populäres Gebrauchslexikon der rheinhessischen Mundart gab es bisher nicht. Dies hat der Wormser Hartmut Keil – nach Übersetzungen von „Struwwelpeter (2001) und „Max und Moritz“ (2002) in die Mundart und unterhaltsamen Sammlungen von Redewendungen wie „Wie geredd, so gebabbelt“ (1999) sowie „Die Nibelungensage“ (2007) und „7 Grimms Märchen auf Rheinhessisch“ (2008) – jetzt vorgelegt.

 

2.400 Wörter sind darin aufgelistet, werden ins Hochdeutsche übersetzt, teilweise etymologisch erklärt und mit einem Beispielsatz versehen. Die Unterschiede innerhalb der rheinhessischen Mundart werden vor allem im Vokalismus deutlich, wenn „Aamer, Äämer und Oomer“ für den „Eimer“ stehen. Neben gängigen Begriffen der Alltagssprache findet man auch mehr oder weniger seltene Schimpfworte und Spezialausdrücke. Im rheinhessisch-deutschen Teil kann sich der Mundartsprecher über so manches Lieblingswort freuen und der Zugereiste sich den einen oder anderen unverständlichen Sprachbrocken auf die Schnelle erklären. Deutsch-Rheinhessisch dagegen werden wohl eher Übersetzer und Ethnologen nutzen, sofern es die überhaupt gibt. Eine kurz gefasste Grammatik ergänzt das Lexikon. Darin wird der Nutzer u.a. aufmerksam gemacht auf den typisch rheinhessischen Relativsatz mit „der wo“ und den typisch rheinhessischen Komparativ mit „als wie“ – alles Funktionen, die man sich als Mundartsprecher mühsam hat abtrainieren müssen, wenn man sich überzeugend in der Welt des Hochdeutschen zu bewegen hatte.

 

Mundartliche Gebrauchswörterbücher wie das von Hartmut Keil machen bewusst, dass auch die Mundarten reiche und vollständige Sprachsysteme sind, die sich immer wieder neu gestalten. Die Etymologie verweist auf germanische, lateinische, jiddisch-hebräische, arabische, französische und neuerdings auch englische Einflüsse, welche die Mundart stets verändert und bereichert, aber keineswegs zum Aussterben gebracht haben. Es ist auch weniger die Mobilität der heutigen Bevölkerung, der Zuzug und die Mischung der Kulturen und Sprachen, welche den Gebrauch der Mundart schrumpfen lassen, sondern die Dominanz der überregionalen Medien – vor allem Fernsehen und Zeitung –, welche die Kinder konditionieren. Das Spiel auf der Straße holt vieles davon wieder zurück. Letztlich liegt es dann an Elternhaus und Schule, ob neben dem Hochdeutschen Mundartliches zugelassen oder gar gefördert wird.

 

Ein Lexikon jedenfalls zeigt, welch wunderbarer Schatz uns mit den historisch gewachsenen Mundarten gegeben ist, ein Schatz, über den wir uns freuen und mit dem wir spielen sollten, so wie unsre Vorfahren mit den Fremdsprachen, die sie mehr oder weniger freiwillig lernen durften. „Le bœuf – der Ochs, la vache – die Kuh, fermez-la-porte, die Dier mach zu!“, hat mein Opa gern gereimt. Ich konnte später ergänzen: „I love you, you love me, mer laafen zesamme, wo laafe mer hie?“ Sprachen lernen kann schließlich auch Spass machen. Den wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern von Hartmut Keils neuem Lexikon.

 

Volker Gallé

Mauchenheim, im April 2009

 

zum Inhaltsverzeichnis

 

Home/zurück